Page 90 - Kanonbildung. Protagonisten und Prozesse der Herstellung kultureller Identität
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88 Anke Bosse
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erschie nene Geschichte der schö nen Redekünste Per siens. Ziel- und Höhepunkt
sind sieben Kapi tel, in denen Goethe je einen der »sieben Dichter« porträtiert,
welche »von dem Perser für die ersten gehalten werden, und innerhalb eines
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Zeitraums von fünfhundert Jahren nach und nach er schie nen«: Firdausī,
,
Anwarī, Niz .āmī, Rūmī, Sa‹ dī, Ḥāfiz . und Ğāmī. Goethe übernimmt hier exakt
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Hammers Kanon der »größten persischen Dich ter«, wie er ihm schon in Bou-
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terweks An zeige unterge kom men war. Ja, er nobilitiert Ham mers Bezeichnung
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»Heptaklinion« (Siebener-Sofa) zu »Siebenge stirn« gemäß dem Stern bild
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der Plejaden, das als Kanonbezeichnung ewige Strahlkraft und Dauer bean-
sprucht. Ham mers Siebenerkanon wirkte also nicht nur auf Goethes private
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62 FA I 3.1, 279. Goethe setzte alles daran, so schnell wie möglich an dieses Werk zu
gelangen; vgl. Bosse, Meine Schatzkammer (wie Anm. 7), 822f.
63 FA I 3.1, 216.
64 Ebd., 168-176. Es folgt dann noch zu allen sieben das Kapitel Übersicht, ebd., 176-
178. – Dagegen ist ’Attār endgültig dekanonisiert. Er wird nur noch kurz im Rūmī-
Kapitel erwähnt (ebd., 171), während er noch im Mai 1815 auf dem Widmungsblatt
figuriert, das Goethe seinem damaligen Titelblatt folgen lassen wollte und das wohl ein
Gegengewicht zu dem star ken Hafis-Bezug des Titelblatts bilden sollte (Bosse, Meine
Schatz kammer [wie Anm. 7], 517-523; vgl. Abb. 9 in FA I 3.1).
65 Hammers kanonisierende Periodisierung allerdings tritt stark in den Hintergrund.
Goethe orientiert sich zwar weiter an Hammers Chronologie, lässt aber seine strikte
Zeitraumeinteilung und vor allem die ›Repräsenta tivität‹ der sieben Dichter für
bestimmte Zeiträume weg.
66 »Firdussi im historischen Epos, Nisami im romantischen Gedichte, Enweri als panegyrischer,
Dschelaleddin [Rumi] als mystischer, Saadi als moralischer, und Hafis als erotischer Dichter.
Später stand zwar noch Dschami auf, der […] wenn auch in keiner Gattung der erste,
doch als überall der zweyte, den größten persi schen Dichtern beygezählt, mit ihnen am
Heptaklinion des poetischen Himmelsgelages am Nektar der Un sterblichkeit trinkt. Hafis
steht also im Sonnenwendepuncte der persischen Poesie, umstrahlt von allen gro ßen und
kleinen lyrischen Lichtern, […].« (Hammer, Geschichte [wie Anm. 17], 11) Möglicherweise
hat astronomische und Paradies-Metaphorik im Kontext des »Heptaklinions« Goethes
Entscheidung für das »Sieben gestirn« beeinflusst.
67 FA I 3.1, 175.
68 Die Bezeichnung Plejaden, in der griechischen Mythologie die sieben Töchter des
Atlas und der Okeanide Pleione, wurde auf eine Konstellation von sieben Sternen
übertragen (›Siebengestirn‹), dann auf die sieben alexandrinischen Dichter, und
schließlich von sieben französischen Dichtern des 16. Jahrhunderts für sich beansprucht
(die sogenannte »Pléjade«). Außerdem übernahm Anton Theodor Hartmann diese
Metapher als Bezeichnung für die von ihm übersetzten und von Goethe so bewunderten
Mu’allaqāt (Die hellstrahlenden Plejaden am arabischen poetischen Himmel, oder die sieben
am Tempel zu Mekka aufgehangenen arabischen Gedichte, Münster 1802; vgl. Anm. 7