Page 88 - Kanonbildung. Protagonisten und Prozesse der Herstellung kultureller Identität
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als ›orientalisch-fremd‹ im Divan von diskret bis zu provozie rend
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deutlich reicht. Da, wo solche ›Fremdheits signale‹ besonders
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prägnant sind, vollziehen sie, avant la lettre, eine Hybridisie rung.
Ein besonders überzeugendes Beispiel bilden Titelkupfer und -blatt des Divan-
Erstdrucks (Abb. 1). Die linke Hälfte mutet an wie ein orientalisches Buch,
dennoch handelt es sich um das östliche Gegenüber des westlichen Titels des
West-östlichen Divans. Dieser Dop peltitel ist ein Hybrid. Er veranschaulicht
augen- und sinnfällig west-östliche Zweipoligkeit: Erstens im Gegen über von
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ok zidentaler und orien talischer grafischer Ge stal tung, zweitens im Gegenüber
von deut scher Fraktur und arabi scher Schrift. Besonders faszinierend ist, dass
Goethe erst das arabisch-persische Wort dīwān für seine eigene Gedichtsammlung
als ›Divan‹ ins Deutsche entlehnte (Ost-West) und dann den Jenaer Orientalisten
Kosegarten um eine Rück-Übersetzung des deutschen Titels ›West-östli cher Divan‹
ins Arabi sche bat (West-Ost). So steht hier links in der Kartu sche: ›Der östli che
l
Diwan des westlichen Ver fas sers‹. Die ses dia ogische Ver fahren des subtilen,
gegengleichen Hin und Her von Ost nach West, von West nach Ost hat für den
gesamten Divan Programmfunktion. 59
Aber: Noch bevor er in dieser anspruchsvollen Form publiziert wurde, zeigte
sich das zeitgenössi sche Publikum überfordert. Testweise hatte Goethe nämlich
einzelne Divan-Gedichte in Zeitschrif ten vorab drucken lassen, woraufhin das
Publikum rätselte, ob diese Gedichte »Ueber setzungen oder ange regte oder
angeeignete Nachbildun gen seyen«. Goethe sah Klärungsbedarf und beschloss
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56 In unseren zwei Beispielgedichten etwa die Nennung Ḥāfiz . ’ und die Benennung des
Wortes als »Braut« so wie die vieldeutige Perlenmetapher in Die Flut der Leidenschaft ...
57 Nämlich lange bevor die Postcolonial Studies dieses Konzept als ›Gegenmittel‹ gegen die
autoritativen Litera turkanons ›des Westens‹ bewarben.
58 Vgl. dazu Anke Bosse, In die »all gemeinen Verhältnisse« des Orients »sein eignes Poetisches
verweben«. Zur imaginären Orientreise des alten Goethe, in: Middle Eastern Literatures
Oxford 6 (2003), vol. 1, 19-37.
59 In dieser Komplexität setzt sich der Divan dezidiert von der seit Ende des 18. Jahrhunderts
in Europa boomen den, Klischees generierenden und perpetuierenden Orient-Mode ab.
Fatalerweise wurde er aber von dieser Mode eingeholt: beim Titelkupfer, der 1827 dem
Divan in der ›Ausgabe letzter Hand‹ vorstand. Er bietet nämlich geradezu gebündelt
modi sche Orient-Klischees. Vgl. Anke Bosse, Interkulturelle Balance statt ›clash of
cultures‹. Zu Goethes ›West-östlichem Divan‹, in: Études germaniques 60 (2005), 231-248
und Abb. 4 sowie Abb. 14 in FA I 3.1.
60 FA I 17, 290.