Page 85 - Kanonbildung. Protagonisten und Prozesse der Herstellung kultureller Identität
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Zur Wahrnehmung literarischer Fremdkanons 83
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»Gedanken« wür den nur durch seine Worte ›entschlei ert‹, steigert Goethe in der
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hochzeitli chen Fusion von Geist und Wort. Sie findet ihre konge ni ale Form in
der chiastischen Stellung von Wort und Geist, Braut und Bräutigam. In erneuter
Anwendung von Verfah ren Nr. 7 erscheint wiederum die Bibel als zugleich
orientalische wie europäische Quelle. Mit den zwei Be nen nungsakten akti viert
Goethe ein überaus machtvolles Modell, nämlich die Genesis. Doch wäh rend
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Gott dort durch ›Benen nungen‹ seine Schöpfungsakte abschließt, stehen die
Benennungen hier kontra faktisch am Anfang eines poetischen Schöpfungsakts.
Denn: Mit »Diese Hoch zeit hat gekannt / Wer Hafisen preist« verweist Goethe
zwar einerseits wie Ḥāfiz . autopoietisch auf sich selbst als einen Dichter, der Ḥāfiz .
panegyrisch lobt. Doch indem er andererseits durch das vorliegende Gedicht
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Hāfiz . preist, vollzieht er selbst die Hochzeit von Wort und Geist, den poetischen
Schöpfungsakt. So kommt zum Selbstbezug der dialogische Bezug auf Ḥāfiz . und
damit wie der der ›pro ductive‹ Wettstreit in den Blick. Dazu stimmt, dass Goethe
dieses Gedicht, analog zum Ti telblattge dicht der Hammerschen Übersetzung,
auf sein erstes eigenes Divan-Titel blatt setzen ließ. 47
Mein zweites Beispiel wurde inspiriert durch einen Beitrag in den Fund-
gruben des Ori ents. Im 2. Band stieß Goethe auf die Vie de Férid-eddin Attar,
einen Auszug aus Daulat-Šāhs kanonisierender taẓkireh, hier ins Französische
übersetzt von Silvestre de Sacy. Daulat-Šāh kommen tiert die immense Menge
von 10.000 Versen, die ’Attār gedichtet haben soll, mit dem Ausruf: »Quelle mer
que celle dont les flots ont jeté sur le ri vage de la vie tant de perles d’une valeur
inesti mable!« Goethe exzerpierte daraus »Poetische Perlen ans Ufer geworf ner /
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44 Am Ende des Ghasels nennt sich der Dichter gemäß der Tradition mit seinem ›nom de
plume‹ (tahallus). Vgl. Rypka, Iranische Literaturgeschichte (wie Anm. 15), 101; Morrison,
v
History (wie Anm. 15), 91. Vgl. auch schon Ham mer, Der Diwan (wie Anm. 8), II.
45 Damit kreuzte Goethe eine europäische Tradition ein (nochmals: Verfahren Nr. 7),
indem er die Verbindung von theologischen und philosophischen Sachgehalten als
Hochzeit allegorisierte (vgl. FA I 3.2., 979).
46 Vgl. 1. Mose 1,5; 1,8 und 10.
47 Abb. 8 in FA I 3.1 sowie Abb. auf Bd. 1 von Bosse, Meine Schatzkammer (wie Anm. 7).
In der weiteren Entwicklung des Divans verschob er es dann als Motto an die Spitze des
Hafis Nameh – Buch Hafis, das we sentlich dem poetischen Wettstreit gewidmet ist (vgl.
FA I 3.1, 27).
48 Fundgruben des Orients, bearbeitet durch eine Gesellschaft von Liebhabern, 6 Bde., hg.
v. Joseph von Ham mer, Wien 1809–1818, hier Bd. 2, 10. Vgl. Abb. 2-3 in FA I 3.1. –
Der Erfolg der Fundgruben (und damit Ham mers) zeigt sich darin, dass sie das erste
orientalisti sche Periodikum mit einem derart starken Publikumsinte resse werden sollte,
dass es sich sieben Jahre halten konnte.