Page 51 - Kanonbildung. Protagonisten und Prozesse der Herstellung kultureller Identität
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Zur Politik der Kanonbildung 49
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konnte.« Allerdings sieht die Verbindung manchmal noch sehr dialektisch
aus, wobei Schiller oft der Vorrang eingeräumt wird. So antwortete etwa E. J.
Köhler 1850 auf die Frage »Ist Schiller oder Goethe der größere Dichter?« mit
der hegelschen Lösung: »Man könnte sagen, die Natur habe einen Universal-
Menschen schaffen wollen, da sie aber Dieses nicht vermocht, so habe sie in
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Schiller und Goethe die beiden Hälften jenes Ideals gebildet.« Dasselbe Ver-
hältnis erblicken wir 1854 in E. W. Webers Weimarer Rede Der Freundschafts-
bund Schillers und Goethes, 1858 in Herman Grimms Essay Schiller und Goethe
und 1859 in J. G. Rönnefarths »Worte der Aufmunterung zur allgemeinen
Theilnahme an der Säkularfeier des Geburtstages unseres Schillers: Schiller und
Goethe oder: der 13. Juni 1794, ein Segenstag der deutschen Nation.«
Allmählich gehörte laut Voßkamp die »Reduktion der klassischen deutschen
Literatur vornehmlich auf die ›Heroen Goethe und Schiller‹« zu den Haupt-
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merkmalen der nationalen Literaturgeschichtsschreibung im 19. Jahrhundert
– eine Paarung, die in Rietschels berühmtem Goethe-Schiller-Denkmal in Wei-
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mar laut Rolf Selbmanns glücklichem Wort geradezu »versteinert« wurde. Das
Denkmal wurde seit 1825 von Freunden der beiden Dichter in Weimar geplant.
Aber erst nach Goethes Tod konnte der Plan zu einem nationalen Projekt erwei-
tert werden, das 1849 wieder auflebte und allmählich Gestalt gewann. Es wurde
etwa lange über die Frage verhandelt, welche von den beiden Gestalten den Vor-
rang haben sollte und ob sie antik oder modern gekleidet werden sollten. (Riet-
schel ging in seiner Gleichstellung so weit, dass er Schillers Größe reduzierte, da-
mit er den Nebenmann nicht etwa überragte.) Das Denkmal, das 1857 enthüllt
wurde, und zwar bei einer großartigen und national beachteten Enthüllungs-
feier, hat das Bild der jetzt als Deutsche Klassik anerkannten Periode geradezu
formalisiert, wobei man die Gemeinsamkeiten, und nicht nur die Differenzen,
betonen wollte. Aber: Wenn auch im Rang gleichgestellt und den Lorbeerkranz
teilend, werden die beiden Dichter jeweils so dargestellt, wie sie auch lange in
die Literaturgeschichten eingegangen sind: Der Idealist Schiller in seinem bür-
gerlichen Rock richtet sein Auge nachdenklich in den Himmel, während der
Realist Goethe im Amtskleid fest in die Gegenwart blickt. Um diese Zeit wurden
65 Georg Gottfried Gervinus, Handbuch der Geschichte der poetischen National-Literatur der
Deutschen, Leipzig 1842, 296.
66 In: Programm der höheren Bürger- und Stadt-Schule zu Culm, Culm 1850,7; zitiert nach
Föhrmann, ›Wir besprächen uns…‹ (wie Anm. 44), 585.
67 Voßkamp, Klassik als Epoche (wie Anm. 24), 508.
68 Selbmann, Dichterdenkmäler (wie Anm. 60), 82-92; hier 82.