Page 177 - Kanonbildung. Protagonisten und Prozesse der Herstellung kultureller Identität
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Kanonbildung bei und mit Hegel          175

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               der preußischen Reaktion wiederum offiziell zur Richtlinie der Hegel-Kritik.
               Als dann nach Stalins Tod, dem berühmten Diktum von Ernst Bloch gemäß,
               wieder »Schach«, d. h. Dialektik, statt »Mühle gespielt« werden sollte, verstellte
               die Konstruktion des Leninismus in der Philosophie eine unbefangene wis-
               senschaftliche Auseinandersetzung mit der Problematik des Verhältnisses von
               Hegel und Marx.



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               Hegel selbst hätte sich vermutlich in den beiden hier betrachteten Kanonbil-
               dungen, die seine Philosophie erfahren hat, kaum wiedererkannt. Weder war
               er der Überzeugung, ein gleichsam fugenlos geschlossenes System vollendet zu
               haben, noch hätte es seine Zustimmung gefunden, als Urheber einer von allen
               metaphysischen Gehalten zu reinigenden dialektischen Methode zu gelten. Al-
               lerdings: Welcher Autor ist schon mit seinem Interpreten einverstanden, der
               ja immer auch – wie es Friedrich Schlegel  formuliert hat – ein Autor in der
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               zweiten Potenz ist? Gerade Hegel hat ja auch für sich in Anspruch genommen,
               die in der Philosophiegeschichte vorkommenden Positionen Begriffen zu un-
               terwerfen, die den Urhebern dieser Positionen fremd waren. Die Eigenart seiner
               Auffassung besteht jedoch darin, dass der für die Betrachtung der Philosophie-
               geschichte leitende systematische Zusammenhang sich als durch eben diese Ge-
               schichte konstituiert versteht, mit ihr also auch zu vermitteln sein muss. Hegels
               Scheitern an einer Entsprechung von logischer und historischer Abfolge der
               Kategorien bedeutet noch nicht, dass die Vermittlung System und Geschichte
               überhaupt scheitert. Dass die Philosophie sich historisch konstituiert und ihre
               Geschichte daher kein bloßer Appendix, sondern ein systematischer Bestandteil
               der Philosophie ist, scheint mir gerade angesichts der im Windschatten der Re-
               organisation der Studiengänge erfolgten Enthistorisierung der Philosophie eine
               unverzichtbare Einsicht zu sein.
                   Im Blick auf Hegel heißt das: Illegitim wäre nicht die Kritik seiner Phi-
               losophie aufgrund anderer systematischer Positionen an sich, sondern allein
               aufgrund solcher Positionen, die sich selbst historisch nicht mehr zu legitimie-



               46  Vgl. Sziklai, Georg Lukács (wie Anm. 44), 91.
               47  Friedrich Schlegel, Kritische Ausgabe, Bd. 18, Philosophische Lehrjahre, 1. Teil, hg. v. Ernst
                   Behler, Paderborn (etc.) 1963, 106 (Nr. 927).
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