Page 131 - Kanonbildung. Protagonisten und Prozesse der Herstellung kultureller Identität
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Die Klassizität des Urbanen           129

               nicht. Selbst so starke Persönlichkeiten wie  Wilhelm von Humboldt, Nicolai,
               Schleiermacher, Rahel Levin, Iffland, Schadow oder Schinkel verstehen sich
               nicht als solche, sondern wirken in ihrem je eigenen Kompetenzbereich. Der
               letzte Ober-Platzhirsch von Berlin war Friedrich der Große, der bekanntlich
               auch die Kulturangelegenheiten autokratisch dirigierte und eine autonome
               Bürgerkultur nicht aufkommen ließ. Unter seinen beiden quasi bürgerlich
               larvierten Nachfolgern ändert sich das von Grund auf. Punktgenau seit 1786
               herrscht eine hochmotivierte und hochinspirierte, aber schwer überschaubare
               Bricolage-Kultur in der Stadt, in der sogar die Generationszuordnungen weitge-
               hend verschwimmen. Zwar gibt es ein paar  Aufklärungshonoratioren (Nicolai,
               Ramler, Chodowiecki, Engel); aber sieht man von ihnen ab, dann spielt unter
               den vielen Aufklärern, Klassizisten, Idealisten und Romantikern, die sich in
               den Salons treffen oder auch nicht, das Alter keine entscheidende Rolle. Ob
               Schadow und Friedrich Gilly, Wilhelm von Humboldt und Gentz, Tieck und
               Wackenroder – man ist ungefähr gleich jung. Das selbstbestimmte Ich ist auch
               hier ein großes Thema, aber es wird weniger theoretisiert als praktiziert, nicht
               selten im Nachempfinden der Goetheschen Dichtungen, vor allem des Wilhelm
               Meister, der hier als Anleitung zu autonomen Lebensentwürfen gelesen wird. Im
               übrigen ist die Stadt zweisprachig (deutsch-französisch) und polyethnisch im
               Sinn der höfischen »Peuplierungs«-Politik (deutsch-französisch-jüdisch, nebst
               multiethnischer Garnison). Innerhalb dieser Koordinaten ergeben sich ständig
               neue Konstellationen, von denen die Bündnisse mit  jüdischen Intellektuellen
               vielleicht die auffälligsten sind – so bei Moritz, den Humboldts, Schleiermacher,
               Friedrich Schlegel, Varnhagen,  E. T. A. Hoffmann und sogar dem Kanzler Har-
               denberg. Auffällig ist allerdings auch der Anteil des Adels am stadtbürgerlichen
               Kulturleben. Die Einflussnahme des Hofes hingegen ist entschieden zurückge-
               gangen, selbst da, wo er als Auftraggeber fungiert.



                                      Zweimal ›Propyläen‹

               Zwischen 1788 und 1792 baut Langhans im Auftrag des neoklassizistisch
               infizierten neuen Königs Friedrich Wilhelm II. das Brandenburger Tor nach
               einem eigenwilligen Konzept. Vorbild dafür sind die athenischen Propyläen,
               also jene Toranlage, die den Athener Stadtbürgern den Zutritt zum geheiligten
               Tempelbezirk der Akropolis gewährte. Die von Langhans (und dem König?)
               nicht gewählte klassizistische Alternative wäre der Typus des römischen Tri-
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