Page 118 - Kanonbildung. Protagonisten und Prozesse der Herstellung kultureller Identität
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116 Waltraud Maierhofer
an, ihr einen Gipsabguss zum Geschenk zu machen). Goethe hatte sie um
Vorlagen für die Frontispiz-Seiten seiner ersten autorisierten Werkausgabe bei
Göschen gebeten. Die Bilderfindung stammt mit Sicherheit von Kauffmann,
da sie sich nicht gern die Komposition vorschreiben ließ und selbst Goethe
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die Zeichnungen als Freundschaftszeichen, nicht als Auftrag verstand. Ihre
Darstellung der Szenen aus Egmont und der Goethe/Apollo-Büste, um die es
hier geht, gestochen von Johann Heinrich Lips in Rom, zierte schließlich die
Bände 5 und 8 der Göschen-Werkausgabe (1788 und 1789), die Dramen bzw.
Gedichte enthaltend.
Angelika Kauffmann gab der fraglichen Zeichnung, die sie Goethe
zum Geschenk machte, keinen Titel, auch nicht in den Briefen, wo sie
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davon schreibt. Christian Bracht bezeichnet sie im jüngsten Katalog des
Goethemuseums als Melpomene, Thalia und Amor huldigen Johann Wolfgang
von Goethe (Bleistiftzeichnung, 1788; Sammlung Weimarer Klassik) und
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interpretiert sie als Kauffmanns Tribut aus Rom an den Dichter in Weimar.
Die Kauffmann-Expertin Bettina Baumgärtel listet die Zeichnung ähnlich als
Die Komische und die Tragische Muse huldigen Goethe und charakterisiert sie als
beeinflusst durch die Komposition des Parnaß von Anton Raphael Mengs. 68
Es ist jedoch gerade der Aspekt der Huldigung, der zu bezweifeln ist. In
Kauffmanns Œuvre bringen Musen, die ihre Verehrung für einen Künstler
ausdrücken, Geschenke und andere Zeichen dieser Huldigung, so zum Beispiel
in Musen bekrönen die Büste des Dichters Alexander Pope oder in Die Phantasie
schmückt das Grab Shakespeares. Die Musen im fraglichen Bild stehen jedoch
lediglich in anspielungsreicher Konstellation und mit bedeutungsvollen
Blickbezügen zueinander und lassen solche Zeichen vermissen. Deshalb liegt
hier die folgende Lesart nahe:
65 Göschen hatte Vorlagen von Chodowiecki abgelehnt, aber noch in einem Brief vom
August 1787 war Goethe dem Verleger gegenüber vorsichtig, neue Vorlagen von
Kauffmann zu versprechen: »Sie hat so viele Bestellungen, daß kein Federzug von ihr
mit Gold zu erhalten ist, was sie nicht aus Gefälligkeit thut.« (Goethe, Brief an Göschen
vom 15. August 1787, in: Goethes Werke [wie Anm. 5], IV. Abt., Bd. 8, 247).
66 Vgl. Kauffmanns Briefe an Goethe vom 10. Mai, 23. Juli und 21. September 1788;
Kauffmann, »Mir träumte« (wie Anm. 64), Nr. 62; 68; 72.
67 Vgl. die Abbildung im Weimarer Ausstellungskatalog, Schuster/Gille, Wiederholte
Spiegelungen (wie Anm. 15), 1, 355.
68 Vgl. Bettina Baumgärtel (Hg.), Angelika Kauffmann (Ausstellungskatalog), Ostfildern-
Ruit 1998, 334f.; Abb. ebd. 334 (Nr. 149).