Page 116 - Kanonbildung. Protagonisten und Prozesse der Herstellung kultureller Identität
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114 Waltraud Maierhofer
Sie ist in einem sehr soliden Styl gearbeitet. Wenn das Modell fertig ist wird er eine
Gypsform darüber machen, und dann gleich den Marmor anfangen, welchen er dann
zuletzt nach dem Leben auszuarbeiten wünscht, denn was sich in dieser Materie tun
läßt kann man in keiner andern erreichen.
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Wohl nicht zufällig fällt dieser Hinweis kurz vor der Bemerkung des Autors,
dass gerade sein Geburtstag sei (der 28. August), eine Anspielung auf seine
Wiedergeburt durch und in der Kunst. Dem geht die Einsicht voran, dass
Schreiben, nicht die Malerei seine Berufung darstellte. Gleichzeitig entwirft
er sein Programm für seinen Zweiten Aufenthalt in Rom: »[...] ich finde mich
immer mehr in mich zurück und lerne unterscheiden was mir eigen und was
mir fremd ist. Ich bin fleißig und nehme von allen Seiten ein und wachse von
innen heraus.« Diese Sätze definieren nichts weniger als ›Bildung‹, jenen für
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die Klassik so zentralen Begriff.
Für Goethe wurde das Klassische synonym mit dem Apollinischen.
Insbesondere ist Trippels Büste einer bestimmten antiken Apollo-Büste ähnlich,
die nicht zufällig in der Italienischen Reise den Gegenstand eines Gesprächs
zwischen Bildhauer und Modell bildet. Es handelt sich dabei um den bis damals
wenig geschätzten sogenannten Apollo Pourtalès (in Goethes Zeit im Palazzo
Giustiniani, Rom; seit 1865 im British Museum, London). Den Lesern wird so
ausdrücklich die Gedankenverbindung Apollo-Goethe nahegelegt. Auch diese
zweite Erwähnung der Büste ist strategisch an Goethes Pläne und Einschätzung
seiner eigenen Entwicklung gekoppelt, dass er nämlich nirgends als in Rom
›reifen‹ und seine Werke abschließen könne. 61
Schließlich hält Goethe in der dritten Stelle über die Büste fest, dass ihm
die Idee gefalle, in diesem idealisierten Bild zu existieren und bekannt zu sein.
Die Idee zeichnet dieses Porträt gegenüber anderen aus. Wiederum ist dieser
Brief sonst nicht erhalten, könnte also fingiert sein. Der Porträtierte verbindet
außerdem wieder dieses Bild mit Reflexionen über sein nun gefundenes Glück
im Schreiben:
59 Goethe, Italienische Reise (wie Anm. 55), 471 (datiert »Den 28. August 87«).
60 Ebd., 425 (datiert »Rom den 16. Juni [1787]«).
61 Im Wortlaut: »Gefühl und Einsicht daß ich aus diesem Zustande noch völlig unreif mich
entfernen, auch daß ich nirgends solchen Raum und solche Ruhe für den Abschluß
meiner Werke finden würde, bestimmte mich endlich: und nun, als ich solches nach
Hause gemeldet hatte, begann ein Zeitraum neuer Art.« (Goethe, Italienische Reise [wie
Anm. 55], 472; datiert: »Bericht August [1787]«).