Page 109 - Kanonbildung. Protagonisten und Prozesse der Herstellung kultureller Identität
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Die Ausgeschlossenen                 107

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               Romantik.  Ion ist der Sohn von Apollo. Er vergewaltigte Kreusa, eine Tochter
               des Königs Erechtheus von Athen, die den daraus hervorgegangenen Sohn dem
               Apollotempel in Delphi übergab. Kreusa heiratete Xuthos und wurde Königin
               von Athen. Mit dem Wunsch nach Kindern wandten sie sich an das Orakel
               von Delphi. Das Stück dreht sich um die Wiedererkennung Ions durch seine
               Mutter und die Aufdeckung der Umstände seiner Empfängnis. Leider ist hier
               nicht Raum, Jagemanns satirische Beschreibung der Handlung ausführlich zu
               zitieren. Darin heißt es: »Dem Anschein nach ist das dramatisch, / In Wahrheit
               aber problematisch: / Sie stellen bald das Schießen ein. / Sie drängt es, ihn ans
               Herz zu drücken, / Darum ruft er voll Entzücken: / Sie müsse seine Mutter
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               sein.«  Böttiger fand die Tragikomödie höchst theatralisch, wenn auch nicht
               ohne Tendenz zu missverständlicher Situationskomik: »Eine zärtliche Mutter,
               die  ihren  Sohn  vergiften,  ein  edler  Sohn,  der  den  Pfeil  auf  seine  Mutter
               abdrücken  will,  während  dieser  doppelte  Frevel  die  gegenseitige  Erkennung
               herbeiführt; was kann uns mehr ergreifen, spannen, befriedigen?« 31
                   Apollo  trat  persönlich  auf    (in  Weimar  gespielt  von  Friedrich  Heide);
               Jagemann spielte Ion.  Böttiger lobte Jagemann für ihr Aussehen als das »eines
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               jungen Apollo«.  Goethe wollte die Haltungen, Bewegungen und Gruppierungen
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               auf der Bühne so gebunden wissen wie die Sprache. Seit 1800 experimentierte er
               in dieser Richtung und führte dies in Ion weiter. Entsprechung seiner Auffassung
               und Hochschätzung der griechischen Malerei und Skulptur sollten die Körper
               auf der Bühne deren Lebendigkeit und Würde nachahmen und verbinden.  Am
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               sichtbarsten wurde dies, indem er Ion bei seinem ersten Auftritt und Apoll bei
               seinem letzten die Haltung der berühmten Statue Apoll von Belvedere einnehmen
               lässt, die nach Winckelmann das höchste Ideal der Kunst verkörperte. Symbolisch


               29   Wie  Georg  Reichard  argumentiert  hat,  unternahm  Schlegel  einerseits  eine
                   Modernisierung, ohne die ›klassischen‹ Eigenschaften aufzugeben, glich das Drama aber
                   auch den bürgerlichen ›Familiengemälden‹ an; vgl. Georg Reichard, August Wilhelm
                   Schlegels ›Ion‹. Das Schauspiel und die Aufführungen unter der Leitung von Goethe und
                   Iffland, Bonn 1987. Apel bestätigt, dass das Stück »der romantischen Ästhetik schon gar
                   nicht mehr entsprach« (Apel, Man lache nicht! [wie Anm. 15], 702).
               30   Jagemann, Satire (wie Anm. 8), 947.
               31   Böttiger, Über die Aufführung (wie Anm. 16), 87 f.
               32   Emde im Kommentar zu Jagemann, Satire (wie Anm.8), 954, Anm. 17.
               33   Siehe Ruth B. Emde, Wahlverwandtschaften im Staat des schönen Scheins. Untersuchungen
                   zur ›ideellen und empirischen Seite‹, in: Jagemann, Selbstinszenierungen (wie Anm. 1),
                   662. Siehe zu Ion, ebd., 572-575.
               34   Nach Apel, Man lache nicht! (wie Anm. 15), 701
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