Page 98 - Kanonbildung. Protagonisten und Prozesse der Herstellung kultureller Identität
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of civilizations‹ bringt phantasmati sche, diskursive Kon strukte zum ›clashen‹.
Und er ist wesentlich ideologisch darin, dass er hoch kom plexe, seit Jahrhun derten
miteinander verschlun gene Kulturen fatal ho mogenisiert und in eine ebenso fatale
dichotomi sche Schlachtordnung zwingt.
Ich komme zum Schluss. Beim Stichwort ›Weimar‹ denken wir heute vor
allem an Ernst Rietschels Goethe-und-Schiller-Denkmal vor dem Weimarer
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Nationaltheater (Abb. 2). Es ist die Ikone der Weimarer Klassik, die wiederum
das Paradebeispiel für folgenreiche Kanoni sierung darstellt.
Doch ›Weimar‹ ist auch Anderes. Goe thes West-östlicher Divan mag nur
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zögerlich rezipiert wor den sein, sein Programm hat eine erstaunli che Karriere
gemacht – etwa als symbolische Ausdrucks form für die Politik des dringlichen
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94 Zur semantischen Komplementarität von englisch civilizations (für: »Kulturen«) bzw.
cultures (für: »Zvilisationen«) als Problem des Übersetzers der Streitschrift von Samuel
Huntington vgl. Samuel P[hilipps]. Huntington, Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der
Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Holger Fliessbach.
Hamburg 2006/07, S. 14f. bzw. 51f. – Die Übersetzung beruht auf der Ausgabe: The Clash
of Civilizations and the Remaking of World Order, New York, 1996; [partiell zuerst als: The
Clash of Civilizations? In: Foreign Affairs (Ausgabe vom Sommer 1993)].
95 Das vom Dresdner Bildhauer Ernst Friedrich August Rietschel erschaffene Denkmal
wurde vom bayerischen König gestiftet und am 4. September 1857 enthüllt. Da das
notwendige Erz aus dem Material erbeuteter türkischer Kano nen stammte, steht es auch
in dieser Hinsicht in Kontrast zum west-östlichen Ḥāfiz . ̣-Goethe-Denkmal. Für die
herausragenden, geradezu ikonisch gewordenen Kanonisierungseffekte von Rietschels
Denkmal dürfte nicht nur seine zentrale Auf stellung vor dem Weima rer Nationaltheater
mitverantwortlich sein, sondern auch die Tatsache, dass Kopien in den US-amerikanischen
Städten Cleveland, Milwaukee und San Francisco stehen. Vgl. dazu auch den Beitrag
von Theodore Ziolkowski im vorliegenden Band.
96 Vgl. Bosse, Meine Schatzkammer (wie Anm. 7), 1001f., 1040.; Anne Bohnenkamp, West-
östlicher Divan, in: Witte u. a., Goethe-Handbuch (wie Anm. 61), 306-322, hier 320-322,
sowie Bosse, Noten (wie Anm. 61), 324f. – Dass der Divan zum »Buchorakel« bzw. »Fal«
benutzt würde, wie sich Goe the in Anlehnung an den Umgang mit Ḥāfiz . ’ Diwan in
Persien wünschte (FA I 3.1, 208f.), lässt sich nicht sagen. Dass dafür aber noch heute
in »jedem persischen Haushalt« neben dem Koran auch ein Diwan des Ḥāfiz . zwecks
Buchorakels ste hen soll, wird bis heute betont, vgl. dazu Morrison, History (wie Anm. 15),
68, sowie Muhammad Schams ad-din Hafis, Gedichte aus dem Di wan. UNESCO-Samm-
lung repräsentativer Werke. Asiatische Reihe, ausgewählt und hg. v. Johann Christoph
Bürgel, durchgesehene und bibliografisch ergänzte Ausgabe, Stuttgart 1977, 3f. – Diese
UNESCO-Sammlung erscheint maxi mal kanonisierend und mit dem expliziten An-
spruch der Repräsentativität augestattet. Von den persischen Dich tern finden sich in
̣
dieser Reihe außer einer Auswahl aus Hāfiz . ’ Di wan nur noch eine Auswahl aus den Diwa-
nen Rūmīs und Sa’dīs.
97 Vgl. dazu Bosse, Interkulturelle Balance (wie Anm. 59).