Page 100 - Kanonbildung. Protagonisten und Prozesse der Herstellung kultureller Identität
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›Verewigt‹ sind in den beiden gegenüberge stellten leeren Granitsitzen nicht die
beiden Dichter (sie bleiben abstrakt, da nicht abge bildet, und sind vertreten
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durch Auszüge ihrer Divane ), sondern ihr Gegenüber als Dialog. Im Dia log
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sym boli sieren sie, was Goethe unter ›Weltliteratur‹, ja ›Globalisierung‹ verstand.
Die beiden giganti schen Sitze aber sollen uns wohl daran gemahnen, dass es für
diesen Dialog viel zu tun gibt – heute mehr denn je. Also eine nützli che, ›Stein‹
gewordene ›Kanoni sie rung‹?
gilt: Stand bei Drucklegung.) – Wer heute zurückblickt, kann nur erschre cken: Wie
weit sind wir im Dialog gewesen, und wie weit haben der 11. September 2001 und seine
Folgen – Krieg und (vermeintlicher) Wieder aufbau in Af ghanistan und Irak – uns alle
zurückgeworfen.
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99 Das Ghasel aus Hāfiz . ’ Diwan hat Chātāmī ausgewählt, von den Goetheschen Sprüchen
stammt »Herrlich ist der Orient …« direkt aus dem Divan, »Wer sich selbst und andre
kennt …« hingegen aus dem Divan-Nachlass. Vgl. Bosse, Meine Schatzkammer (wie
Anm. 7), 1045f.
100 Globalisiert wissen wollte Goethe nicht die Wa ren- und Kapitalflüsse, sondern eine
spezifische Kommunika tionsform. Ein Jahrzehnt nach der Erstpubli kation des Divans
entwarf er in Analogie zum internatio nalen Waren austausch seine Idee einer ›Weltlite ratur‹
als eines internationalen »Wechseltausch[s]« von Kul turgütern zwi schen den Völkern,
eines glo balen »freyen geis tigen Handelsverkehr[s]« (German Romance und Vorwort zu
Carlyles ›Leben Schillers‹, FA I 22, 432-434 und 869-882, hier 434, 870). Er meinte also
damit gerade nicht, wie immer wieder missverstanden wird, einen Kanon weltweit und
überzeitlich gültiger literarischer Werke. Zu Goethes Idee einer ›Weltliteratur‹ vgl. Anne
Bohnen kamp, Rezeption der Rezeption. Goethes Entwurf ei ner ›Weltliteratur‹ im Kontext
seiner Zeitschrift ›Über Kunst und Alter tum‹, in: Bernhard Beutler, Anke Bosse (Hg.),
Spuren, Signaturen, Spiegelungen. Zur Goe the-Rezeption in Europa, Köln; Weimar 2000,
187-205.