Page 101 - Kanonbildung. Protagonisten und Prozesse der Herstellung kultureller Identität
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Die Ausgeschlossenen 99
Waltraud Maierhofer
Die Ausgeschlossenen
Drei Fälle von Fremdinszenierung und Kanonausschluss
im Umfeld Goethes
Kanonbildung und »Klassikermacher« erfordern notwendig Beschränkung
und Ausschluss, Randfiguren und Vielfalt. Ruth Emde schreibt in ihrer
neuen umfangreichen Untersuchung zur Weimarer Schauspielerin Caroline
Jagemann: »Man erfährt mehr über Goethes Theaterarbeit, wenn man ihn mit
seiner ›schönen Freundin‹ Caroline und anderen zusammentreffen lässt, als ihn
einsam oder gemeinsam mit Schiller wirken zu lassen. [...] Und schließlich kann
das klassische Weimar nur bestehen, solange Caroline als Biest konstitutives
1
Element für dieses Modell bleibt.« Wird, wo Klassiker gemacht werden,
notwendig anderen dieser Status verweigert? Werden also auch Nicht-Klassiker
bestimmt? Wird ihre Aufnahme in den Kanon versagt, und zwar nicht einfach
durch Nichtbeachtung, sondern aktiv durch Gegenüberstellung, die Kontraste
verstärkt?
Dieser Beitrag wählt drei Beispiele für solche Gegenüberstellungen und
stellt einige, notwendig vorläufig bleibende Betrachtungen zu den Mechanismen
der Abgrenzung und des Ausschlusses an, und zwar über den Schriftsteller und
Übersetzer Christian August Vulpius, die Schauspielerin Caroline Jagemann
sowie die Malerin Angelika Kauffmann. Er berücksichtigt deren (zum Teil
satirische) Werke sowie deren Darstellung in Autobiografien als Reaktionen auf
den Ausschluss im Gegensatz zu Goethes, eine affirmative Rezeption lenkenden
Aussagen.
1 Ruth B. Emde, in: Caroline Jagemann, Selbstinszenierungen im klassischen Weimar.
Caroline Jagemann, hg. und untersucht von Ruth B. Emde, kommentiert in Zusam-
menarbeit mit Achim von Heygendorff, Bd. 1: Autobiographie, Kritiken, Huldigungen,
Göttingen 2004, 50.