Page 66 - Kanonbildung. Protagonisten und Prozesse der Herstellung kultureller Identität
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64                        Robert Charlier

                 Literaturliebhaber. Er wurde von Literaten, Politikern, Journalisten, Lehrern und
                 Studenten gleichermaßen genutzt. Dies ist für ein im weiteren Sinne lexikografi-
                 sches Werk ein so gut wie einmaliger Erfolg.
                    Bis in die modernen Auflagen des 20. Jahrhunderts blieb Goethe der im
                 ›Büchmann‹ mit am meisten belegte und zitierte Autor. In der insgesamt knapp
                 800 Seiten Zitattext bzw. -kommentar umfassenden Ausgabe der 30. Auflage
                 von 1969 sind Goethe allein knapp 70 zusammenhängende Seiten und zu-
                 sätzlich Einträge auf knapp 100 Seiten gewidmet. Den singulären Umfang der
                 Goethe-Zitation dokumentiert zudem ein Blick in das detaillierte Register der
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                 Ausgabe.  Bis auf den heutigen Tag haben Auswahl, Gewichtung und Fre-
                 quenz der Büchmannschen Zitation die qualitative und quantitative Rezepti-
                 on der abendländischen Klassiker und ihrer Sprache beflügelt. Der geflügelte
                 Wort- und Zitatenschatz Büchmanns und seiner kongenialen Kompilatoren
                 legten Grundlagen, von denen auch normative Standardwerke der modernen
                 Klassikerlexikografie noch nachhaltig zehren. 27


                  Der Bibliothekar und Übersetzer Walter Heinrich Robert-tornow

                 Aber der Büchmann wäre nicht das klassische Nachschlagewerk, wie es in An-
                 lage und Umfang gegenwärtig ist und das in einer exponentiell ansteigenden
                 Flut von Klassiker- und speziell Goethe-Zitaten im Internet seinen global ver-
                 nehmbaren (und auch virtuell nachlesbaren) Nachhall findet,  hätte es nicht
                                                                   28
                 26  Geflügelte Worte. Der Zitatenschatz des deutschen Volkes, gesammelt und erläutert von
                    G. Büchmann, fortgesetzt von Walter Robert-tornow, Konrad Weidling, Eduard Ippel
                    und Bogdan Krieger, 30. Aufl., Berlin 1961, 171-217 (Abschnitt über Goethe) sowie 769f.
                    (Registereintrag zu Goethe, Joh. W. v.). – Zum quantitaiven Vergleich siehe ebd. 779f.
                    (Registereintrag zu Schiller, Friedr. v.) sowie 780f. (Eintrag zu Shakespeare, W.).
                 27  Vgl.  z.  B.  Der  Duden  in  12  Bänden.  Das  Standardwerk  zur  deutschen  Sprache.
                    Bd. 12: Zitate und Aussprüche, bearbeitet von Werner Scholze-Stubenrecht u. a. Mann-
                    heim (etc.) 1993, 813 (Registereintrag zu Goethe, Johann Wolfgang; zum Vergleich siehe
                    den Registereintrag zu Schiller, Friedrich, ebd. 823).
                 28  Eine Image-basierte Digitalisierung mit dem Volltext einer historischen Büchmann-
                    Ausgabe  des  19.  Jahrhunderts  findet  sich  unter  http://susning.nu/buchmann/.
                    Es handelt sich um die Ausgabe: Geflügelte Worte. Der Citatenschatz des deutschen Vol-
                    kes, gesammelt und erläutert von G. Büchmann. Fortgesetzt von W. Robert-tornow.
                    19., vermehrte und verbesserte Auflage. Berlin (Haude und Spener’sche Buchhandlung/
                    F. Weidling) 1898. Druck: G. Keysing, Leipzig. Digitalisierung: Aronsson Datateknik
                    (Lars Aronsson), Linköping, Schweden, 2005 in Zusammenarbeit mit Karl Eichwalder,
                    Nürnberg, und Project Gutenberg’s Distributed Proofreaders.
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