Page 68 - Kanonbildung. Protagonisten und Prozesse der Herstellung kultureller Identität
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                 Buch des Andenkens für ihre Freunde, Berlin 1833/34). In der Person Varnha-
                 gens ist die romantische Berliner Salonkultur zudem mit der ersten überindi-
                 viduellen Institutionalisierung des Mythos von Weimar verbunden, der eine
                 bleibende nationale und internationale Bedeutung zukam. Denn im Jahre 1834
                 war es Karl Varnhagen von Ense, der von der amtierenden Großherzogin Ma-
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                 ria  Pawlowna   von  Sachsen-Weimar-Eisenach  damit  beauftragt  wurde,  eine
                 Denkschrift für die beabsichtigte Gründung einer literarischen Gesellschaft zu
                 verfassen, die sich ganz dem Geist und Vermächtnis Goethes widmen sollte.
                 Bereits im Herbst desselben Jahres legte Varnhagen unter dem Datum vom
                 8. September einen Entwurf vor. Einer der prominentesten Vertreter des ›mo-
                 dernen‹ literarischen Berlin spricht darin allein Weimar die Unmittelbarkeit im
                 Hinblick auf seinen berühmtesten Dichter zu. In gewisser Weise erscheint da-
                 durch eine der gesellschaftlich und kulturpolitisch wirkmächtigsten Instanzen
                 der Kanonisierung von Goethes Werk und Wirken durch einen Vertreter des
                 Berliner Geisteslebens legitimiert:
                    Der von höchstem Orte her verlautbarte Gedanke, Goethen ein lebendiges, die Wir-
                    kungen seines Geistes und Sinnes unter seinem Namen versammelndes und sie durch
                    vereinte Tätigkeit weiterbildendes Denkmal zu stiften, muß in den vaterländischen Ge-
                    mütern den reinsten Anklang und die regste Teilnahme finden. […] Weimar ist vor
                    allen Orten berechtigt, der Boden und die Mitte einer solchen Stiftung zu sein. Die
                    von Weimar ausgegangene Wirkung, der Geist Goethes hauptsächlich, haben sich über
                    Deutschland, über die Welt verbreitet, allgemein wie diese Wirkung, muß auch die
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                    Stiftung eingreifen, welche jenen Erfolg und Ruhm ehren und erhalten soll.
                 Das Zitat verdichtet einmal mehr den intentionalen Impetus im Prozess der litera-
                 rischen Kanonisierung, der von Personen oder Personengruppen ausgeht und an
                 menschengemachte Körperschaften und Institutionen gebunden bleibt. Goethes
                 Apologeten und Verehrer, seine Drucker, die Illustratoren seiner Werke, seine be-
                 diensteten Mitarbeiter und Redaktoren – schließlich seine Biografen und Edito-
                 ren, erst recht aber die seinem Geist und Lebenswerk gewidmeten Institutionen
                 – sie alle erweisen sich nicht nur als systemisch beeinflusste Akteure, sondern
                 immer auch als von subjektiven Wertschätzungs- und individuellen Willensent-
                 scheidungen bestimmte Agenten im Prozess der literarischen Kanonbildung.
                    Zwar sollte der frühe Gründungsplan für die Goethe-Gesellschaft als ei-
                 ner solchen Agentur der gelebten Kanonisierungspraxis zunächst an politischen

                 32  Maria Pawlowna (1786–1859) war die Tochter Zar Pauls I. von Russland und eine Enke-
                    lin Katharinas der Großen.
                 33  Zitiert nach: Wolfgang Goetz, Fünfzig Jahre Goethe-Gesellschaft (Schriften der Goethe-
                    Gesellschaft; 49), Weimar 1936, 3.
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