Page 69 - Kanonbildung. Protagonisten und Prozesse der Herstellung kultureller Identität
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Gegebenheiten scheitern. Mangels einer nationalen Einigung innerhalb der
Metternichschen bzw. nach-Metternichen Restaurationsepoche war an eine
länderübergreifende einheitliche Unterstützung des Projekts noch nicht zu
denken. Zudem ermöglichte erst die testamentarische Verfügung des letzten
Goethe-Enkels Walther Wolfgang von Goethe nach dessen Tod am 15. April
1885 den Zugang der Nachwelt zu den Immobilien, Sammlungen und dem
Archiv der Familie Goethe. Denn der letzte direkte Goethe-Nachfahre hatte
die Weimarer Großherzogin Sophie als Erbin eingesetzt. So konnte es erst über
ein Jahrzehnt nach der Reichsgründung am 21. Juni 1885 zur Gründung der
Goethe-Gesellschaft kommen (als »Goethe-Gesellschaft in Weimar«). Und die
Berliner Weimarbegeisterung setzte sich unmittelbar fort. Mit Gründungsbe-
ginn gab es einen zahlenmäßig überaus nennenswerten Zustrom von Berlinern,
darunter prominente Gelehrte und Mitglieder der Preußischen Akademie der
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Wissenschaften wie Theodor Mommsen oder Hermann von Helmholtz.
Nach dem Ersten Weltkrieg kam es schließlich – allerdings durchaus gegen
den Widerstand der konservativen Weimarer Muttergesellschaft – zur Grün-
dung einer progressiveren Berliner »Ortsgruppe«. Am 25. Mai 1919 wurde der
Vorläufer der heutigen »Ortsvereinigung« der Weimarer Goethe-Gesellschaft in
Berlin gegründet. Erster Vorsitzender war der Buchhändler und Goethe-For-
scher Flodoard Freiherr von Biedermann (1858–1934). Biedermann setzte die
Arbeit seines Vaters, des Königlich Sächsischen Geheimrats Woldemar Freiherr
von Biedermann (1817–1903), fort und brachte damit die erste philologisch
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bedeutsame Ausgabe von Goethes Gesprächen zum Abschluss.
34 »Aus Berlin kamen von Anfang an viele Mitglieder. 1887 waren es bereits 432, damit die
größte Gruppe aus dem Deutschen Reich. Zwanzig Jahre später werden 945 Mitglieder
aus Berlin gezählt, und im letzten Kriegsjahr 1918 registriert man immerhin 66 neue
Mitglieder.« Zitiert nach: Hans-Wolfgang Kendzia in Zusammenarbeit mit Lothar Fröh-
lich, Geschichte der Berliner Goethe-Gesellschaft (1919–2007), nummerierte Jahresgabe der
Goethe-Gesellschaft e. V., Berlin 2007, 11. – Zur aufschlussreichen historischen Unter-
scheidung der Terminologie (»Ortsgruppe« versus »Ortsvereinigung«) vgl. ebd. 11f.
35 Flodoard Woldemar von Biedermann, geboren am 14. März 1858 in Chemnitz, gestor-
ben am 19. Oktober 1934 in Berlin-Steglitz, absolvierte eine Buchhändlerlehre und wirk-
te in Berlin als Redakteur der Zeitschriften Der Baumeister und Typographische Monats-
hefte. Als Leiter seines eigenen Kleinverlages F. W. Biedermann in Leipzig setzte er das
Lebenswerk seines Vaters fort und verlegte im Jahre 1889 die erste philologische Ausgabe
von Goethes Gesprächen. Vgl. dazu z. B. Goethes Gespräche, begründet von Woldemar
Freiherr von Biedermann. 2., durchgesehene und stark vermehrte Aufl.; zugleich als:
Goethes Gespräche. Gesamtausgabe, neu hg. v. Flodoard Freiherr von Biedermann, unter
Mitwirkung von Max Morris, Hans Gerhard Gräf und Leonhard L. Mackall. 5 Bde.,
Leipzig (F. W. Biedermann) 1909–1911.