Page 31 - Kanonbildung. Protagonisten und Prozesse der Herstellung kultureller Identität
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Potsdam und Weimar um 1780              29

                   Darüber hinaus aber trat Goethe auch als Dichter den Anmaßungen des
               preußischen Königs kühn und erfolgreich entgegen. Seit der Berlinreise von
               1778 plante er eine dem Aristophanes nachgebildete Komödie Die Vögel, die
               er im Juni/Juli 1780 der Weimarer Hofdame Luise von Göchhausen diktierte.
               Hier persiflierte Goethe das königlich-preußische Wappentier, dessen Anblick
               ihm schon beim Überqueren der brandenburg-preußischen Grenze am 14. Mai
               1778 in Treuenbrietzen Apprehension erweckte, als er das Bildnis aus Eisen
               oder Holz erblickt hatte. Dieser preußische Adler mit dem goldenen FR für
               Fridericus Rex auf der Brust galt ihm als allegorische Verkörperung eines des-
               potischen Herrschers, der die Bevölkerung seines Landes mit eisernem Zepter
               regierte, durch Eroberungskriege seine Gebiete arrondierte und mit Hilfe des
               Militärs seine Macht festigte.
                   Bei  der  Aufführung  der  Vögel  vor  der  Ettersburger  Hofgesellschaft  am
               18. August 1780 trat Goethe selber in der Rolle des Treufreund auf, und damit
               als Warner vor der Beutegier des preußischen Adlers, dem Wappenvogel Fried-
               richs des Großen. Ich zitiere aus dem von Goethe gesprochenen Text:
                   Im Norden ist jetzt das Bild des Adlers in der größten Verehrung: überall seht ihr’s
                   aufgestellt, und wie vor einem Heiligen neigen sich alle Völker, wenn er auch von dem
                   schlechtesten Sudler gemahlt oder geschnitzt worden ist. Schwarz, die Krone auf dem
                   Haupt, sperrt er seinen Schnabel auseinander, streckt eine rote Zunge heraus und zeigt
                   ein Paar immer bereitwillige Krallen. So bewahrt er die Landstraßen, ist das Entsetzen
                   aller Schleichhändler, Tabakskrämer und Deserteure. Es wird niemanden recht wohl,
                   der ihn ansieht.
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               Diese Warnung vor dem Friderizianischen Adler war eine höchst provokative,
               riskante Angelegenheit. Wie heikel die politischen Anspielungen waren, merkt
               man noch dem von der beliebten Schauspielerin und Sängerin Corona Schröter
               gesprochenen Goetheschen Epilog an. Doch es gelang, die Hofgesellschaft, die
               zumeist aus Verwandten des bewunderten Preußenkönigs bestand, zu amüsie-
               ren. Goethes Attacke gegen den preußischen Adler wurde gemeinsam belacht.
               Anderweitig las Goethe Die Vögel gleichfalls vor, so auch dem Prinzen August
               von Gotha, dem er 1780 eine Abschrift schenkte, die noch heute im Besitz der
               Herzoglichen Bibliothek zu Gotha ist. Der Lacherfolg der Vögel in Weimar
               und an anderen deutschen Höfen sprach sich natürlich in Berlin und Potsdam
               herum. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass der Zeitpunkt der Publikation
               von De la littérature allemande direkt mit der kurz vorher stattgehabten Auffüh-



               40  Goethes Werke (wie Anm. 29), I. Abt., Bd. 17, 107f.
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