Page 30 - Kanonbildung. Protagonisten und Prozesse der Herstellung kultureller Identität
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28                      Katharina Mommsen

                 kel Fridericus Rex und betrachtete ihn als Vorbild, wann immer er davon
                 träumte, wie dieser durch soldatische Heldentaten unsterblichen Feldherren-
                 ruhm zu erringen. 1778 war er nahe daran, sich den preußischen Truppen
                 anzuschließen, um am Bayerischen Erbfolgekrieg teilzunehmen. Sein Freund
                 Goethe aber war über diese Aussicht tief entsetzt, und es glückte ihm, den
                 jungen Landesherrn davon abzubringen und ihm dadurch die Blamage zu
                 ersparen, die die preußischen Truppen im sogenannten Kartoffelkrieg erlit-
                 ten.
                    Da ihn die Kriegslust seines Freundes Carl August tief beunruhigte und
                 er  auf  jeden  Fall  die  Neutralität  des  kleinen  Herzogtums  Sachsen-Weimar-
                 Eisenach wahren wollte, bahnte Goethe im Rahmen seiner Ministertätigkeit
                 auf dem Wege von Verhandlungen ein politisches Arrangement mit der Partei
                 um den Fürsten Franz von Anhalt-Dessau an, der sich keineswegs am Krieg
                 beteiligen wollte. Nach der unglückseligen Schlacht von Kolin, in der Fried-
                 rich seine Soldaten mit dem grotesken Zuruf »Ihr Hunde, wollt Ihr denn ewig
                 leben« in den Tod getrieben haben soll, hatte er mit Abscheu den preußischen
                 Heeresdienst quittiert. Seitdem machte sich der Dessauer Fürst als fürsorglicher
                 Landesvater um das Wohl seiner Untertanen verdient und schuf Friedenswer-
                 ke wie die wunderbaren Parkanlagen von Wörlitz. 1778 spielte Goethe dem
                 Fürsten  auf  diplomatischem  Wege  in  die  Hände,  um  Carl  August  vor  den
                 möglichen Folgen seiner Kriegslust zu bewahren. Darum ging es bei der ge-
                 heimnisumwitterten einzigen Reise Goethes nach Berlin und Potsdam im Mai
                 1778. Sie kam durch Verabredung mit dem Dessauer Fürsten zustande, der die
                 gemeinsame Fahrt unternahm, als er sicher war, dass man dem König in Berlin
                 nicht begegnen würde, da der sich schon bei seinen Truppen in Schlesien be-
                 fand. Stattdessen arrangierte er ein Treffen mit den Frondeurs um den Prinzen
                 Heinrich, die Friedrichs Kriegspolitik heftig kritisierten, so dass Carl August
                 desillusioniert wurde und weder selbst am Feldzug teilnahm noch Thüringer
                 Truppen zur Verfügung stellte. Der alte Fritz wusste durch seine Informanten
                 genau, welchen Einfluss Goethe 1778 auf Carl Augusts politische Entscheidun-
                 gen ausübte. 1779 wurde Goethes Einfluss von neuem evident, als Friedrich auf
                 Carl Augusts Thüringer Territorium Truppen ausheben wollte und Goethe sich
                 mit den anderen Geheimen Räten den Forderungen der Preußen widersetzte.
                 1779 benutzte Goethe sogar seine Amtshoheit als Vorsitzender der Kriegskom-
                 mission dazu, die Truppenaushebungen für die Preußen auf ein Minimum zu
                 reduzieren und das eigene Truppenkontingent des Herzogs drastisch um etwa
                 die Hälfte zu reduzieren.
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