Page 146 - Kanonbildung. Protagonisten und Prozesse der Herstellung kultureller Identität
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144 Alfred K. Treml
zielt auf die kausale, meist technische Herstellung eines Gegenstandes. Eine
poietische, bildende Tätigkeit »hat das Bilden, Machen, Verfertigen eines Wer-
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kes zum Ziele«. Der »Seinsgrund« des Hergestellten liegt »im Schaffenden«.
Praxis dagegen hat seinen Sinn bzw. sein Ziel in sich selbst, etwa in Form eines
verständigungsorientierten Diskurses. Sie bedarf nur eines gemeinsam geteilten
Sinns, um verstanden zu werden. Dagegen wird mit dem Begriff des Herstellens
deutlich auf ein dahinterstehendes Agens verweisen, das in Form einer Hand-
lung etwas herstellt, etwas kausal bewirkt. Will man Klassiker poietisch erklä-
ren, muss man ein Agens und eine kausale Wirkkraft annehmen. Ich nenne
dies die schöpfungstheoretische Variante einer Erklärung von Klassikern, denn
vor dem Herstellungsprozess wird ein Schöpfer unterstellt, der aus dem, was
möglich ist, zunächst durch Antizipation selektiv auswählt und danach handelt.
Man kann hier von »selection by anticipation« sprechen, weil der selektiven
Herstellung eine geistige Antizipation vorausgeht.
Dagegen wird mit dem Begriff des Herausbildens offen gelassen, wie etwas
entsteht und wer unter Umständen daran beteiligt war. Die Klassiker selbst wer-
den aber als Tatsache behandelt, die wir in der Welt vorfinden können. Sie sind
aus dem Bereich der Möglichkeiten durch einen Entwicklungsprozess entstan-
den (›herausgebildet‹). Weil dabei das Warum und das Wie offen gelassen wer-
den, kann man vermuten, dass es sich um eine Art Selbstorganisation handelt.
Weil dieser Prozess nur nachträglich – anhand seiner Konsequenzen – erkannt
und beschrieben werden kann, ist es vielleicht angemessen, hier – in Anlehnung
an einen Formulierungsvorschlag von Burrhus Skinner – von »selection by
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consequences« zu sprechen. Das aber ist, wenn man es zu Ende denkt, letztlich
eine evolutionstheoretische Erklärung, weil die Entwicklung nicht teleologisch,
also bewusst und zielbezogen, verläuft, sondern teleonom, also unbewusst und
folgenbezogen, interpretiert werden muss.
Wir haben damit idealtypisch zwei Erklärungsformen gegenübergestellt,
hinter denen zwei ehrwürdige Theorietraditionen stehen: Schöpfungstheorie
und Evolutionstheorie. Die schöpfungstheoretische Logik ist älter als die evo-
2 Bela von Brandenstein, (Artikel) Handlung. In: Hermann Krings, Hans Michael Baum-
gartner, Christoph Wild (Hg.): Handbuch philosophischer Grundbegriffe, München 1973,
677-685, hier 679.
3 Aristoteles, Nikomachische Ethik (wie Anm. 1), 1140a.
4 Burrhus Skinner, Selection by consequences. In: Science 4507 (31. Juli 1981), vol. 231,
p. 501-504.