Page 17 - Kanonbildung. Protagonisten und Prozesse der Herstellung kultureller Identität
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Potsdam und Weimar um 1780              15

               des roi philosophe« so heißt es, den er auf »die literarisch-intellektuelle und
               akademi sche Kultur in Deutschland um die Mitte des 18. Jahrhunderts« warf,
               habe seinen Wunsch, diese zu reformieren, geweckt. Als König und Philosoph
               habe er sich zu solchem »Dienst an seinen Landsleuten« verpflichtet gefühlt;
               und so präsentiere er sich in De la littérature allemande »mit allen Tugenden
               eines Friedensfürsten.« 6
                   Ich gestehe, dass meine eigenen Untersuchungen etwas andere Motive zutage
               gefördert haben und dass ich angesichts der näheren Umstände, die den König
               zur Publikation des Pamphlets veranlassten, zu etwas abweichenden Schlüssen
               gelangt bin. Lassen Sie mich zunächst referieren, was nach heutigem Stand der
               Forschung über die Entstehungsgeschichte der königlichen Postille bekannt ist.
                   Schon vor deren Veröffentlichung war es in der näheren Umgebung des Kö-
               nigs kein Geheimnis, dass die Abhandlung zum größten Teil Jahrzehnte früher
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               entstanden war.  In Übereinstimmung damit stützt sich die neuste Forschung
               auf gewichtige Gründe, die dafür sprechen, dass es sich bei der Publikation
               von 1780 »um eine bearbeitete und erweiterte Version einer rund dreißig Jahre
               vorher konzipierten« Epistel handelt, »deren direkter Bezugspunkt das im Mai
               1752 heraus gegebene Werk des Barons Bielfeld – eines Genossen der Rheins-
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               berger Zeit – war.«  Bielfeld hatte damals zu dem von ihm wahrgenommenen
               Aufblühen der deutschen Literatur eine Abhandlung in französischer Sprache
               verfasst: Über die Fortschritte der Deutschen in Künsten und schönen Wissenschaf-
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               ten, besonders auf dem Gebiet der Poesie, der Beredsamkeit und des Theaters.  Der



               6   Vgl. Brunhilde Wehinger, Geist und Macht. Friedrich der Große im Kontext der eu-
                   ropäischen Kulturgeschichte, hg. v. Brunhilde Wehinger, Berlin 2005, 8 (Einleitung);
                   Eberhard Lämmert, Friedrich der Große und die deutsche Literatur, in: ebd., 13-21 (be-
                   sonders 19 und 21) sowie vor allem Karl H. L. Welker, Rechtsgeschichte als Rechtspolitik.
                   Justus Möser als Jurist und Staatsmann, Bd. 1 (Osnabrücker Geschichtsquellen und
                   Forschungen; 38) Osnabrück 1996, 280: »Friedrichs in seiner Abhandlung verfolgte, an
                   sich hehre Absicht zielte auf eine Verbesserung der deutschen Literatur.«
               7   Johannes von Müller, der sich im November 1780 in Berlin und Potsdam aufhielt und
                   von der Schrift schon vor ihrem Erscheinen Kenntnis hatte, sprach von ihr als »une
                   pièce composée il y a peut-être quarante ans.«  Vgl. J. v. Müller: Allemagne. 1781, 264

                   (Sämmtliche Werke, hg. v. J. G. Müller, 25. Theil, Stuttgart; Tübingen 1833).
               8   Vgl. LA 9f. (Vorwort).
               9   Progrès des Allemands dans les sciences, les belles-lettres et les arts, particulièrement dans la
                   poésie, l’éloquence et le théâtre. Das ursprüngliche Konzept des Königs zur Erwiderung an
                   Baron Bielfeld ist nicht erhalten geblieben. Vgl. das Vorwort Die Entstehung des Werkes
                   in LA 7-11.
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